Editorial: Berufen

Stell dir vor, du hörst aus dem Nichts plötzlich eine Stimme, die dir sagt: „Lass alles zurück – Arbeit, Familie, Freunde – und mach dich auf den Weg. Ach ja: Und mach dir keine Gedanken über das wohin. Das zeig ich dir, wenn du bereits auf dem Weg bist.“

Wie würdest du darauf reagieren? Was würde dir da durch den Kopf gehen? Und was würden deine Freunde und Verwandten dazu sagen, wenn du ihnen davon erzählst?

„Du spinnst“ wäre wahrscheinlich noch eine nette Antwort auf diese Gedanken. 

Aber genauso ist es Abraham ergangen. Wir sehen das in 1. Mose 12,1-5: Gott sagt zu Abraham, er solle seine Heimat verlassen und in ein fremdes, unbekanntes Land gehen, dass Gott ihm zeigen wird. Und Abraham vertraut Gott und tut, was er von ihm möchte. 

Kannte Abraham Gott vorher? Wie sprach Gott zu Abraham? Woher wusste Abraham, dass da Gott zu ihm spricht?Alle diese Fragen werden nicht beantwortet. Es ist nur klar: Gott spricht zu Abraham; Gott beruft Abraham; und Abraham tut das, was Gott ihm aufträgt.

Als Jugendlicher und auch während der Zeit an der Bibelschule war ich immer fasziniert von Berichten von Missionaren und anderen, die für Gott unterwegs waren. Ich stolperte aber immer über Aussagen, wie „Gott hat mir gezeigt“, „Gott hat mir deutlich gemacht“, „Gott hat mir gesagt“. Ich habe mich dann immer gefragt: „Wie? Wie hat er gesprochen? Wie hat er das deutlich gemacht?“ Ich hatte das so nie erlebt. Zumindest könnte ich diese Formulierungen nicht so verwenden.

Ich habe in der Zwischenzeit lernen dürfen, dass Gott uns nicht nur sehr unterschiedliche Wege führt, sondern uns auch sehr unterschiedlich auf unseren Wegen führt. Er führt dich möglicherweise ganz anders als die Person nebenan.

Ich habe Gottes Führung dadurch erlebt, dass er mir Türen – also: Möglichkeiten – geöffnet und Türen geschlossen hat. Und ich habe erfahren, dass er mir die Freiheit gab, auch in wichtigen Fragen eigene Entscheidungen zu treffen. Gott traut uns Verantwortung zu, solange wir unser Leben nach seinen grundlegenden Vorstellungen ausrichten.

Andere haben erlebt, dass Gott wie bei Abraham tatsächlich auf ganz aussergewöhnliche Weise zu ihnen gesprochen hat und ihnen etwas bewusst werden ließ. Und wer weiß, vielleicht werde ich diese Erfahrung auch machen dürfen. Vielleicht aber auch nicht. Es ist nicht entscheidend, für welchen Weg der Führung sich Gott bei uns entschließt. Worauf es ankommt ist, dass wir bereit sind uns führen zu lassen.